Geschichte der Chemie in Heidelberg

Sieht man von der mittelalterlichen Alchemie ab, ist die moderne Chemie - zumindest im europäischen Kulturraum - eine sehr junge Wissenschaft. Erst durch die Untersuchungen LAVOISIERs (1743-1794) erhielt sie den Rang einer exakten Wissenschaft und konnte sich vom Ruf befreien, allein eine Hilfswissenschaft der Medizin zu sein. Sie ist heute eine eigenständige Wissenschaft mit weitreichendem Einfluß auf und wertvollen Anregungen für viele Fachbereiche der Medizin, der Bio- und Geowissenschaften.

Erste chemische Studien in Heidelberg fanden bereits 1874 statt, als dem Professor für Mathematik, Naturgeschichte, Chemie und Botanik, G. A. SUCKOW, die Aufsicht über die Naturaliensammlungen der vom pfälzischen Lautern nach Heidelberg transferierten "Hohen Kameralschule" übertragen wurde. Suckow und K. W. C. KASTNER, der 1812 als Professor für Chemie nach Halle ging, haben die ersten Vorlesungen über Experimentalphysik und -chemie gehalten.

Als selbständiges Fach etabliert wurde die Chemie in Heidelberg im Jahre 1817. Verbunden ist dieser Schritt mit dem Namen LEOPOLD GMELIN, der zum Ordinarius in der medizinischen Fakultät ernannt, jährlich mit 1000 Gulden Gehalt, 300 Gulden Wohnungsgeld und 300 Gulden Aversum für Laboratoriumsbedarf und für die Bezahlung von Assistenten auskommen mußte; ein recht bescheidener Beginn. Immerhin konnte er erstmals in Heidelberg über ein eigenständiges chemisches Laboratorium verfügen. Es war im alten Dominikanerkloster an der Stelle des heutigen Friedrichsbaus, Ecke Hauptstraße und Brunnengasse, untergebracht, vor dem heute die Bunsen-Statue steht. Leopold Gmelin, der von 1817 bis 1851 den Lehrstuhl innehatte,  war ein Enzyklopädist der Chemie, Entdecker der Gallensäure und des roten Blutlaugensalzes; er arbeitete über Blut, Verdauung und Atmung.

1852 übernahm ROBERT WILHELM BUNSEN das Ordinariat für Chemie, das der philosophischen Fakultät zugeteilt wurde. Er arbeitete zunächst im Dominikanerkloster und bezog 1855 das neugebaute Laboratorium in der Akademiestraße auf der „Bleiche hinter dem Riesen“. "Es lebt sich hier himmlisch in Heidelberg", schreibt er, nachdem er die Nachfolge Gmelins angetreten hatte. Verständlich macht er diesen Ausspruch, indem er fortfährt: "In Karlsruhe (zu Bunsens Zeit der Sitz des zuständigen Ministeriums) weiß man nicht, was man mir alles zuliebe tun soll. Mir wird oft angst und bange, wie ich so großen Erwartungen entsprechen soll." Bunsen, der der philosophischen Fakultät angehörte, fühlte sich im Grenzgebiet zwischen Chemie und Physik zu Hause. Er war es, der nach Gmelin mit seinen Arbeiten die internationale Fachwelt auf Heidelberg aufmerksam machte und somit den Ruf der Heidelberger Chemie begründete.
Von seinen Entdeckungen ist die bekannteste die mit KIRCHHOFF gefundene Spektralanalyse (1859). Ebenso wichtig ist die Herstellung von Metallen durch Elektrolyse geschmolzener Salze. 1860 isolierte Bunsen aus 30 Tonnen Bad Dürkheimer Mineralwasser 17 Gramm Chlorid eines Metalls, das er wegen seiner blauen Spektrallinien Caesium nannte. Auch das Element Rubidium wurde von Bunsen entdeckt. Er entwickelte die Analyse der Gesteine und Gase und konstruierte die nach ihm genannte elektrische Batterie.

Das alte Bunsen-Laboratorium:

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Bunsen hat von Anfang an den Neubau eines chemischen Instituts betrieben, dieser konnte 1855 bezogen werden. Das Bunsen'sche Institut ist noch heute in der Akademiestraße zu sehen und beherbergte bis 1959 das Anorganisch-Chemische Institut der Universität; BUNSENs Dienstwohnung, die zusammen mit dem Institut Ecke Plöck und Akademiestraße erstellt wurde, war 1926 bis 1962 Unterkunft für das Physikalisch-Chemische Institut.

Bunsen, den man heute als Anorganiker oder Physikochemiker bezeichnen würde, duldete keine Götter neben sich. So waren die Vertreter der organischen Chemie, ebenfalls illustre Namen, u.a. keine geringeren als August KEKULÉ und Emil ERLENMEYER, in Privatlaboratorien entlang der Hauptstraße beheimatet.
Im März 1856 habilitierte sich FRIEDRICH AUGUST KEKULÉ (Benzoltheorie 1865) in Heidelberg. Kaum jemand weiß heute noch, daß Kekule in seiner Habilitationsarbeit die Vierwertigkeit des Kohlenstoffs erkannte und damit das Fundament der Organischen Chemie legte. Im Herbst 1858 nahm er eine Professur in Gent an.

Kekule und Mitarbeiter
Kekule und Mitarbeiter (u.a. A.Mayer, Behrend, C. Glaser)

EMIL ERLENMEYER, der bei Justus von Liebig promovierte, habilitierte sich im April 1857 für technische und analytische Chemie und folgte im Herbst 1868 dem Ruf auf eine Professur an der Technischen Hochschule München.

1888 trat Bunsen zurück. Im Frühjahr 1889 übernahm VICTOR MEYER Bunsens Nachfoge. Unter seiner Leitung wurde das Institut durch den Bau eines Laboratorien- und Hörsaalgebäudes wesentlich erweitert. Eine Abteilung für analytisch-anorganische und eine für organische Chemie wurden eingerichtet, denen unter Curtius eine solche für physikalische Chemie folgte, die Georg Bredig übernahm. Meyer entwarf noch die Pläne für einen Neubau, der dem Unterricht der Medizinstudenten dienen sollte, und der in der Zeit von 1899 - 1901 unter der Direktion von Theodor Curtius errichtet wurde. Aus den für die organische Chemie bedeutsamen Arbeiten Meyers sei die Entdeckung des Thiophens, der aliphatischen Nitroverbindungen und seine Apparatur für Molekülgewichtsbestimmungen hervorgehoben.
1890 war das Geburtsjahr der Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultät, welche damals neben den vier klassischen Fakultäten für Theologie, Philosophie, Jura und Medizin eingerichtet wurde.
Im Juli 1892 habilitierte sich EMIL KNOEVENAGEL, bekannt durch die nach ihm benannte Kondensations-Reaktion, zum ersten Privatdozenten der neuen Naturwissenschaftlich-Mathematischen Fakultät. Er wurde 1896 zum Außerordentlichen Professor ernannt.

Nach dem plötzlichen Tod Victor Meyers, Anfang August 1897, folgte THEODOR CURTIUS im April 1898 dem Ruf nach Heidelberg, obwohl er erst im Frühjahr 1897 die Nachfolge Kekulés in Bonn angetreten hatte.
Curtius (1898-1926) ist bekannt als Entdecker des Hydrazins und der Stickstoffwasserstoffsäure sowie durch eine nach ihm benannte Abbaureaktion. Das stickstoffwasserstoffsaure Blei gewann im Weltkrieg Bedeutung als Initialzünder. Eine technisch brauchbare Synthese dieser Substanz hat Curtius’ Schüler und Abteilungsleiter ROBERT STOLLÉ gefunden. In der anorganischen Chemie arbeitete nach Jannasch und Knoevenagel Ernst Müller.
1898 setzte Curtius die Einrichtung einer physikalisch-chemischen Abteilung durch. Die Chemie war somit in die drei Hauptdisziplinen - Anorganische, Organische und Physikalische Chemie - aufgeteilt.

Curtius Nachfolger KARL FREUDENBERG (1926-1956) gliederte 1928 die physikalisch-chemische Abteilung aus dem chemischen Institut als selbständiges Institut aus, indem er dieses in der ehemaligen Dienstwohnung Bunsens unter der Leitung von Max Trautz unterbrachte.  Trautz wurde 1926 zum persönlichen Ordinarius ernannt.
Auf dem Gebiet der Stereochemie wurde der von Karl Freudenberg gefundene Verschiebungssatz der optischen Drehung ausgebaut und zusammen mit WERNER KUHN (1929-1967; Nobelpreis 1938) erklärt. KLAUS SCHÄFER, der 1945 an das Physikalisch-Chemische Institut berufen wurde, setzte sich für den Neubau des Institutes Im Neuenheimer Feld mit Erfolg ein. Im Juni 1951 wurde in Neuenheim mit dem Neubau der Chemischen Institute, der Karl Freudenberg schon 1926, anläßlich seiner Berufung zugesagt war, begonnen und im wesentlichen Anfang der 60er Jahre abgeschlossen.
Die Geschichte dieser Neubauten zeigt einmal mehr, mit wieviel Schwierigkeiten Hochschullehrer - selbst so markante Persönlichkeiten wie K. FREUDENBERG - zu kämpfen hatten. Der Neubau des Chemischen Instituts war K. FREUDENBERG bereits 1926 anläßlich seiner Berufung zugesagt worden; es hat 25 Jahre gedauert, bis den Versprechungen der erste Spatenstich folgte. "Ich habe das Verfahren gewählt, mich in den Wartezimmern der Ministerien in Karlsruhe einzunisten und möglichst lästig zu machen", kommentierte K. FREUDENBERG in seinen Memoiren seine erfolgreichen Bemühungen im Jahre 1951.

1956 übernahm GEORG WITTIG die Nachfolge von Karl Freudenberg. Er erhielt, zusammen mit H.C. Brown, 1979 den Nobelpreis für die nach ihm benannte Reaktion.
Zu Zeiten Freudenbergs und Wittigs waren bereits namhafte Anorganiker in Heidelberg tätig, die der Anorganischen Chemie ein eigenes Profil verliehen. Zu diesen gehörten WALTER HIEBER und MARGOT BECKE-GOEHRING, deren Arbeitsgebiet die Chemie des Schwefels, des Phosphors und anderer Nichtmetalle war. Jedoch war es Georg Wittig, anläßlich der Berufung von ULRICH HOFMANN 1960, vorbehalten, das Anorganisch-Chemische-Institut als solches zu etablieren. Dieser Schritt wurde durch die Neubauten für die Chemischen Institute im Neuenheimer Feld ermöglicht. Ulrich Hofmann, der über die Chemie der Tonminerale arbeitete, übernahm die Leitung des Anorganisch-Chemischen Instituts.

Auch der Nobelpreisträger KARL ZIEGLER, der zusammen mit G. Natta 1963 den Nobelpreis für das nach ihm benannte Polymerisationsverfahrenerhielt, lehrte 10 Jahre in Heidelberg (1925-1935).

1962 wurde ein neues Extraordinariat geschaffen, das innerhalb der organischen Chemie die theoretische Richtung vertreten sollte. Auf diese Stellel wurde HEINZ A. STAAB berufen, der 1963 ein Ordinariat erhielt. Staab arbeitete auf dem Gebiet der heterocyclischen Chemie. Er beschäftigte sich mit kinetischen und spektroskopischen Untersuchungen dieser Verbindungsgruppe und mit ihrer Anwendung in der präparativen organischen Chemie.

Nach der Emeritierung von O. TH. SCHMIDT, der über Naturstoffe, insbesondere über Ellagengerbstoffe und Zucker arbeitete wurde 1963 zur Fortsetzung der Naturstoffrichtung HERMANN SCHILDKNECHT als Extraordinarius gewonnen, der 1964 ebenfalls ordentlicher Professor wurde. Im Laboratorium von Schildknecht wurden neue Trennungsverfahren wie Zonenschmelzen und Kolonnenkristallisieren entwickelt; weitere Arbeiten befaßten sich mit der Strukturaufklärung von Insektenabwehrstoffen und entzündungserregenden Pflanzensubstanzen.

Schließlich erhielt HANS PLIENINGER 1964 ein Extraordinariat für organische Chemie. Plieninger arbeitete hauptsächlich an der Synthese komplizierter Naturstoffe. Weiterhin wurden von ihm Probleme der Biosynthese von Mutterkorn-Alkaloiden untersucht.

Die stürmische Entwicklung in der Chemie, verbunden mit einem sehr hohen technischen und apparativen Aufwand sowie einem modernen Umweltbewußtsein, ließ nach über 30 Jahren die Forderung nach einer Sanierung der Gebäude bzw. einem Neubau immer dringender werden. Intensive Bemühungen ab 1985 haben 1996 zum Erfolg geführt. Im Rahmen eines Neubau- und Modernisierungsprogramms wurde ein Gebäude (INF 276) neu errichtet. Zusätzlich wurden umfangreiche Sanierungen begonnen. In den nachfolgenden Jahren wurden und werden alle alten Gebäude durch moderne Neubauten mit Glasfassaden ersetzt.

Seitenbearbeiter: E-Mail
Letzte Änderung: 13.03.2018
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